Seht hin auf die Vögel des Himmels, dass sie nicht säen noch ernten, noch in Scheunen sammeln, und euer himmlischer Vater ernährt sie doch.
<author>Mt 6,26<author>
Es ist unser himmlischer Vater, der die Vögel ernährt und die Blumen kleidet. Wir, die wir für Ihn noch wertvoller sind, sollen Ihm deshalb für die Bedürfnisse des Lebens vertrauen.
Sorgen und Angst sind real. Vor vielen Jahren traf ich in Ungarn einen Mann, dessen Auftreten mich sehr beeindruckte, einen bescheidenen Mann von großer Güte und Herzenswärme. Ich war sehr daran interessiert, seine Geschichte zu erfahren. Zu Zeiten des Kommunismus war er ein Mathematiklehrer in einer Dorfschule gewesen, aber er war auch als sehr gefragter Bibellehrer in den verschiedenen Gemeinden der Region aktiv. Eines Tages wurde er zur Polizeiwache bestellt und über seine Anstellung befragt.
„Sie sind ein Mathelehrer“, sagten sie, „aber stimmt es, dass Sie auch ein Bibellehrer sind?“
„Ja, das stimmt“, sagte er, „Das mache ich in meiner Freizeit.“
„Und Sie werden dafür bezahlt?“, fragten sie.
„Ganz und gar nicht“, sagte er, „ich mache das freiwillig und ohne Bezahlung.“
„Wir glauben Ihnen nicht“, antworteten sie. „Sie müssen sich deshalb entscheiden. Entweder unterrichten Sie weiter an der Schule oder sie arbeiten als Bibellehrer, aber es geht nicht beides. Sie müssen uns Ihre Entscheidung sehr bald mitteilen.“
Schweren Herzens ging er an diesem Abend nach Hause zu seiner Familie. Er hatte eine große Familie und es war nicht leicht, sie alle zu versorgen, und doch diskutierte er die Angelegenheit mit ihnen. Er rief sie zusammen und sagte: „Ich möchte nicht, dass ihr Kinder jemals sagen könnt, dass ihr von eurem Vater zu großen Entscheidungen, die das Familienleben betreffen, nie befragt wurdet.“ Also erklärte er ihnen die Entscheidung, die er treffen musste. Was sollte er tun?
Der jüngste Sohn der Familie sagte: „Papa, ich kann mir dich nicht ohne eine Bibel in deiner Hand vorstellen.“
Die Entscheidung war getroffen und er musste die Schule verlassen. Es war schwierig, eine Arbeit zu finden, und schließlich musste er sich auf die Knochenarbeit in einem Steinbruch einlassen und die schweren Schieferplatten aufheben und tragen. Die Schiefer hatten scharfe Kanten, und seine Frau sagte mir, dass sie an vielen Abenden seine Hände verbinden musste, damit das Blut aus den zahlreichen Schürfwunden nicht auf die Bibel tropfen würde, die er auf der Kanzel benutzte.
Eines Tages wurde er ins Büro des Chefs gerufen. „Ich habe gehört, dass Sie früher Mathematik unterrichtet haben?“
„Das ist richtig.“
„Gut“, sagte der Vorarbeiter, „ich bin für meine Arbeit unterqualifiziert, und nach den neuen Richtlinien brauchen wir alle grundlegende Kompetenzen in Mathematik. Wie wäre es, wenn Sie mich unterrichten würden, anstatt im Steinbruch zu arbeiten?“ Er ergriff sofort die Gelegenheit und entdeckte zu seiner Freude, dass seine Bezahlung noch höher war als die aus dem Schulunterricht.
Das war ein großartiges Beispiel dessen, was es bedeutet, wirklich dem Herrn in der täglichen Arbeit zu dienen, und ich war nicht überrascht, dass sein Einfluss im ganzen Land spürbar war.
Es gibt jedoch noch mehr über die Lehre Jesu in der Bergpredigt nachzudenken, als was wir gerade betrachtet haben. Er spricht von Motivation und stellt zwei Haltungen gegenüber: „Nach all diesem trachten die Nationen [die Heiden] … [Ihr] trachtet aber …“ Das kommt uns zunächst seltsam vor. Sicherlich sollen wir alle durch unsere Arbeit nach Nahrung und Kleidung trachten, so wie Gott es bestimmt hat. Das stimmt natürlich, und das meint Jesus hier auch nicht. Jesus fügt dem Trachten nach Nahrung und Kleidung, das normalerweise durch unsere Arbeit vorgenommen wird, zwei weitere Dimensionen hinzu: die geistliche und die moralische Dimension. Am besten versteht man das vielleicht, wenn wir daran im Zusammenhang mit unserer Motivation für das Verrichten dieser Arbeit denken.
Eine übliche Motivation ist einfach zu arbeiten, um Geld für den Lebensunterhalt zu verdienen. Andererseits sagt Jesus, dass die Gläubigen „zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit“ trachten sollen, wenn es um das Erarbeiten der nötigen Mittel für den Lebensunterhalt geht. All die lebensnotwendigen Dinge werden dann auch hinzugefügt werden, wobei – und darum geht es – sie nicht länger der Hauptbeweggrund für das Ausführen der Arbeit sind. Für den Gläubigen liegt das Hauptmotiv darin, Gottes Reich, also seine Herrschaft in unserem täglichen Leben zu erfahren. Praktisch bedeutet das, seine Gerechtigkeit zu suchen. Jeder Beruf, jede Art von Arbeit, ob bezahlt oder nicht, ob in einem Krankenhaus, einer Fabrik oder einer Gemeinde, gibt Anlass für moralische Fragen von persönlicher und unternehmerischer Integrität.
Sehen wir es einmal so: Für Christen gibt es zwei Aspekte der Arbeit, nicht nur einen. Der erste Aspekt ist das Ziel der Arbeit (wie gerade erwähnt): Gottes Herrschaft zu suchen; erst danach geht es um die Nebenprodukte der Arbeit: Nahrung, Kleidung, eine Unterkunft und so weiter. Sehr tragisch ist, dass viele Menschen das Ziel der Arbeit mit dem Nebenprodukt der Arbeit verwechseln. Für sie liegt das Hauptziel der Arbeit in Nahrung, Kleidung, Wohnen und dem ganzen Rest der unerschöpflichen Liste von privaten Besitztümern bis hin zu Privatflugzeugen, Jachten, Palästen und sogar Fußballklubs. Ihre Hauptmotivation ist es, diese Dinge zu bekommen. Die Gefahr ist, dass ihr Wunsch nach dem Besitz dieser Dinge moralische Vorbehalte überstimmen kann, und sie dann der Versuchung nachgeben können, diese Dinge durch Unehrlichkeit zu erlangen, durch Betrug, Korruption, Diebstahl und auf tausend anderen Wegen der Systemmanipulation.
Auch wenn solche Leute dann an Güter und Eigentum gelangen, erkennen sie nicht, dass sie das grundlegende Ziel der Arbeit, so wie sie von Gott zuerst vorgesehen war, aus den Augen verloren haben – seine Herrschaft und Gerechtigkeit zu erfahren. Gott interessiert sich viel mehr für den Charakter als für die Besitztümer. Es ist seine Absicht, dass unsere Arbeit ein wesentlicher Bestandteil im Prozess der Charakterbildung wird.
Mein Freund aus Ungarn veranschaulichte das einprägsam. Ein anderes anschauliches Beispiel, von dem ich hörte, ist das eines jungen Mannes Anfang Zwanzig, der eine Ausbildung als Elektriker abgeschlossen hatte. Nach nur wenigen Wochen in seiner ersten Anstellung, in der er die Elektrik in neuen Häusern verlegte, wurde er zu seinem Chef zitiert, der ihm wütend Faulheit vorwarf, weil er weniger Häuser verkabelt hatte als seine Arbeitskollegen. Der junge Mann erklärte, dass er nicht schneller arbeiten konnte, da die Stromleitungen unter den Fußböden besonders vorsichtig verlegt werden müssten, um die Richtlinien zur Vermeidung von Brandgefahr einzuhalten. Der Chef erwiderte wütend: „Wer sieht schon unter die Holzdielen?“
„Mein Herr tut es“, antwortete der junge Mann ohne Zögern.
Er wurde sofort entlassen, aber bekam bald danach eine neue Anstellung.
Dieser Vorfall erfasst genau, was Jesus lehrt. Der junge Elektriker trachtete nach Gottes Herrschaft und Gerechtigkeit in seiner täglichen Arbeit. Er war nicht bereit, moralische Abkürzungen zu nehmen, denn er glaubte, dass Gott an seinem Charakter interessiert war. Gott sah zu, wie er arbeitete.
Auszug aus dem Buch: Lennox, Joseph, Daniel-Verlag, 2020